Schnauze voll und behindert bis zum Gehtnichtmehr ?!
Der Behindertenpolitische Stammtisch Potsdam fällt mit Regelmäßigkeit und Konsequenz auf. Er bildet nicht das bisherige Bild einer stöhnenden und frustrierten Meckerecke ab, sondern scheint im nicht sichtbaren Hintergrund noch mehr Aktivität zu entwickeln als man vermuten möchte.
Das haben sich die Gründer & Macher ( Oliver Käding und Klaus-Peter Krüger ) sehr wahrscheinlich auch so gedacht und uns treibt die Frage um: Was soll das eigentlich ?
In einer spontanen Internetrecherche fiel uns ein Artikel aus dem Nachrichtenportal Kobinet auf den Bildschirm und bot uns einen Blick über 1.300 Tage zurück in die Vergangenheit.
Was uns grundsätzlich und unabhängig von diesem speziellen Artikel auffällt, ist eine Art Realitätsparese. Will sagen, die Formulierungen und Problemstellungen gleichen sich, trotz mehrjährigem Abstand derart, dass wir uns natürlich fragen, Was ist da los ?
Nina Waskowski, Du hast dem Stammtisch damals gegründet und im Oktober 2012 über die Arbeit des Behindertenpolitischen Stammtisch in Potsdam berichtet und in gewisser Weise eine Art Resümee über damals 2 Jahre Arbeit gezogen.
Wir begleiten den heutigen Behindertenpolitischen Stammtisch Potsdam seit Ende letzten Jahres thematisch und haben bei der Lektüre des damaligen Artikels eine auffallende Gleichartigkeit in der Aufgabenstellung und dem Selbstverständnis festgestellt.
Die Zeit ist ja weder für die Betroffenen ( wir können uns für diese Formulierung nur immer weder entschuldigen ! Wir suchen immer noch taugliche Alternativen. ), noch für die Amts- & Funktionsträger stehen geblieben, was sich allerdings bei der Reflektion der heutigen Aufgaben- & Problemstellungen aufdrängt. Zudem ist der heutige Behindertenpolitische Stammtisch Potsdam ( nunmehr als e.V. ) nicht mit dem Behindertenpolitischen Stammtisch in Potsdam aus dem Jahre 2012 zu vergleichen.
Manchmal tun Rückblicke weh, manchmal nicht. Reflektiere doch für uns ganz objektiv und gern auch mit Emotionen und werfe einen Blick zurück und betrachte die heutige Situation.
Was war, was ist, was wird wohl werden ?
Das ist gar nicht so einfach. Das lässt sich nicht in Kurzform sagen. Der Stammtisch war damals eine Notwendigkeit, weil ich es nicht mehr geschafft habe, die Menschen so schnell zueinander zu bringen wie sie sich haben finden müssen. Die Tourismusakademie brauchte einen Menschen mit Lernschwierigkeit, der Betroffene einen Anwalt, der Mensch mit Unterstützungsbedarf einen Assistenten, der Assistent einen Job, der Beauftragte einen Praxiserfahrenen, ein Unternehmen einen Referenten und der Knochen den Hund. Es war zum Verrücktwerden. Hinz und Kunz schienen sich auf meinem Schreibtisch zu tummeln und den Gegenpart in meinem Bürochaos zu suchen. Daher erfand ich kurzerhand den Stammtisch und lud hinterrücks gesondert diejenigen ein, die unbedingt zueinander finden mussten, weil sie eben genau den gegenseitigen Bedarf zu decken in der Lage waren. Es war quasi eine Drehscheibe.
Ein Anstoß also, der das Notwendige mit dem Möglichen verbinden konnte. Wie ging es weiter ? Kam Bewegung in die Gemeinschaft und gab es Ergebnisse ?
Dann kamen traurige Zeiten. Meine Kapazitäten gingen zu Neige und waren mit Berufstätigkeit und familiärer Expansion gänzlich erschöpft, sodass ich den Stammtisch in leider nicht sehr verantwortungsvolle Hände gab, die ihn mit Schmackes an die Wand klatschten. Ich war sehr sehr traurig und das meine ich sehr sehr ernst!
Denn ich hatte viel Kraft und Mühe investiert.
Dann übernahmen Oliver Käding und Klaus-Peter Krüger den Stammtisch und – egal wie die Konzeption jetzt auch ist – sie machen etwas und es ist etwas Gutes.
Auch wenn es anders ist, ist es auf jeden Fall gut! Es war mir – und vielen anderen – einfach wichtig und so haben mich die beiden für die Zeit meiner Traurigkeit wahrhaftig entschädigt.
Das resignierte Nichtstun, das bloße Konsumieren, die allgemeine Achtlosigkeit untereinander und die notorische Nörgelmanier empfand ich von jeher als überaus unkonstruktiv, falsch und absolut schlimm.
Es war mir zunehmend unerträglicher.
Diese Problematik beobachten wir auch mit großem Unbehagen und staunen doch immer wieder, wie Unaufmerksam und Desinteressiert doch ein Großteil beider Parteien sich zueinander verhalten.
Irgendwann brachte mich diese Haltung vieler Betroffener fast selbst in diese Situation und dann änderte sich alles. Schlagartig!
Mein Leben drehte sich fortan nicht mehr darum, Menschen zusammenzubringen und wie wild Aktionen zu planen, sondern um Windeln, Brei und Sandkasten.
Alles zu seiner Zeit und dieses ist eben jetzt dran.
Das bedeutet kurze Nächte, Augenringe und ein bisweilen ungeduldiges abhängiges Gegenüber ohne Situationsverständnis. Das klingt in der Beschreibung nicht wirklich anders. Wie fühlte sich die Veränderung bzw. dieser Perspektivwechsel denn an ?
Eine Zeit des Nachdenkens und der Entschleunigung. Aus einiger Distanz – quasi aus dem Sandkasten – heraus bin ich immer wieder froh und dankbar, dass wenigstens der Stammtisch zu neuem Leben erweckt und meine Arbeit somit doch irgendwie anerkannt wurde. Damit war nicht alles umsonst.
Im Rückblick ist es keinem der seinerzeitigen ( und bisweilen noch heute aktiven ) Amts- & Funktionsträger gelungen den Ball aufzunehmen und politische bzw. verwaltungstechnische Theorie in die tägliche Arbeit zu übernehmen. Wir haben in unserer Arbeit seit Ende 2012 in diesem Bereich eine nahezu umfassende Lethargie und ein ausgeprägtes Unverständnis über die sozialen und gesellschaftlichen Mindestanforderungen festgestellt. Dies gilt insbesondere für Potsdam und trotz des Vorhandenseins an einschlägigen Einrichtungen und Unternehmen.
Derweil habe ich fast wieder Mut gefasst. Ich sehe gerade in Oliver und seinen Mitstreitern Menschen mit Verantwortungsgefühl, Respekt voreinander, mit Kreativität, innovativen Ideen, mit Mut zum Wagnis, mit großem Engagement und vor allem mit dem Humor, den ich an so vielen Stellen schmerzlich vermisst habe.
Vielleicht wage ich mich mal aus meinem Sandkasten heraus und bitte darum, ein wenig auf meinem einst so geliebten Spielfeld mitspielen zu dürfen. Vielleicht lässt man mich ja.
Nina, dann nun so kurz wie möglich:
Mehr als 1.300 Tage danach könnte ich ( rückblickend betrachtet ):
a) jubeln und frohlocken
b) mir wegen großen Erfolges selbst auf die Schulter klopfen
c) mich nach getaner Arbeit zufrieden zur Ruhe setzen
d) die Anderen mal machen lassen, oder
e) einfach mal abkotzen ?
In Kurzform: Nach zu Boden geklopftem Erfolg, lehne ich mich zurück in meine berufliche Arbeit, lasse jubelnd die anderen den Stammtisch machen, um auch selbst dort mal abkotzen zu dürfen.
cade ?! … das war im alten England ein Fässchen mit 500 Heringe oder 1000 Sardellen. Müssen wir hier eine versteckte Botschaft entschlüsseln oder ist das eine Mahnung ?
Ja – diese Mahnung muss wohl auch mal sein. Man beteiligt sich nicht nur einfach an einem Projekt, einem Werk oder eine Idee, sondern riskiert oder enttäuscht schlimmstenfalls auch den Menschen dahinter. Dessen sind sich viele Menschen aber leider nicht bewusst.
Es fehlt am offenen Wort. Auf Landesebene passierte in der Zeit sehr viel – sogar Positives. Da pennen nur die Betroffenen, auf Bundesebene pennt niemand mehr. Da sind viele negative Veränderungen in Gang und die Betroffenen toben.
Nur in Potsdam – da geht gar nichts. Alles schläft – es sei denn, man wird bespaßt. Dann wacht man mal kurz auf, um im Halbschlaf rumzupöbeln und nickt dann sogleich wieder komatös weg.
Nina Waskowski, vielen Dank für das offene Wort.
Das Gespräch mit Nina Waskowski führte Alexander D. Wietschel und den ursprünglichen Artikel und Stein des Anstoßes ist findbar auf_ http://www.kobinet-nachrichten.org
KvWC_4|7|2016